Thomas Roth ist nicht zu fassen

Anders verhält es sich mit Thomas Roth. Sein Verhalten ist nicht zu fassen. Eigentlich hätte man annehmen dürfen, dass seit der Ausstrahlung des so verfälschend zusammengeschnittenen Putin-Interviews genügend Zeit vergangen ist, um sich eine vernünftige Strategie der Schadensbegrenzung zurechtzulegen, denn der Imageschaden der ARD-Tagesschau ist ja wahrlich gewaltig.
Was hätte Roth gestern Mittag in Tagesschau- Chat sagen können? „ Entschuldigung, wir haben da sicher unter Zeitdruck Fehler gemacht und ich bedauere sehr, wenn durch unsere Bearbeitung des Originals ein falscher Eindruck entstanden sein sollte. Bitte nehmen Sie mir ab, dass dahinter keine verfälschende Absicht oder gar eine Zensur steckt.“ Ja, das hätte man, knurrend zwar, akzeptieren können. Aber was sagt Roth statt dessen?:
Frage: Halten Sie angesichts der Reaktion Ihrer Zuschauer die Art und Weise, in der das Interview gekürzt wurde, weiterhin für gerechtfertigt und objektiv? Würden Sie es heute anders machen?
Thomas Roth: Ja, ich halte es nach wie vor für richtig, dass wir an einem herausgehobenen Programmplatz im ARD-Hauptprogramm das Interview in einer Länge von 10 Minuten ausstrahlen durften.( ....) Wir haben, da wir kein staatlicher Rundfunk sind, nicht die Verpflichtung, das Interview eines Ministerpräsidenten unmittelbar in gesamter Länge auszustrahlen. (....) Die Kürzung selbst habe ich nach aus meiner Sicht streng nachrichtlichen Kriterien vorgenommen.
Nix da mit Entschuldigung
Frage: Halten Sie das gekürzte Interview inhaltlich für gleichwertig?
Thomas Roth: Am besten ist ein Interview natürlich immer, wenn man es sofort und unmittelbar in voller Länge zeigen kann. Natürlich auch deshalb, weil in voller Länge jede Nuance viel deutlicher wahrgenommen werden kann - insofern ist eine gekürzte Version natürlich immer eine gekürzte Version.
„Gekürzte Version“ ist wirklich nett gesagt.
Frage: Wer entschied, diesem Interview nur neun Minuten Sendezeit einzuräumen?
Thomas Roth: Das war eine Entscheidung der ARD-Programmplanung, über die ich mich aber sehr gefreut habe. (...) Obwohl nach meiner Information das Publikum an einem solchen Abend eher unterhaltungsorientiert zu sein scheint.
Unterhaltungsorientiert? Direkt nach den 9 Minuten Stümmel-Putin wurde fast 5 Stunden ununterbrochen vom Obama-Wahl-Kongress in Denver übertragen. Keine Zeit für 20 Minuten mehr Putin? Direkt lachhaft!
Frage: Meines Erachtens wurde die Frage von 'Anfang' nicht beantwortet. Es ging in der Frage darum, ob Herr Roth die Art und Weise der Kürzung als objektiv empfindet, nicht um die Kürzung an sich.
Thomas Roth: Ich habe diese Kürzung nach journalistischen Kriterien vorgenommen und versucht, dabei möglichst viele interessante Gesichtspunkte an diesem Abend zu berücksichtigen.( ....)
Interesse hat Roth wahrlich geweckt, aber nicht mit journalistischen Kriterien.
Frage:Wie erklären Sie sich die große Empörung über die Kürzungen?
Thomas Roth: Offen gestanden, tue ich mich damit sehr schwer. (...) Was mich an der Reaktion durchaus stört ist, dass von nicht Wenigen wie selbstverständlich davon ausgegangen wird, ich hätte dabei ein manipulatives Interesse gehabt. Dem war natürlich nicht so.
Natürlich nicht, Roth hat nur Anweisungen befolgt.
Frage: Warum haben Sie die Langfassung um 6.20 Uhr morgens ausgestrahlt? So hat sie doch kaum jemand sehen können.
Thomas Roth: Das war eine Entscheidung der Programmplanung des WDR. Ich war froh, dass wir die Langfassung im WDR-Fernsehen zeigen konnten. Zudem haben wir ja den Text im Internet auf dem sehr gut besuchten Portal "tagesschau.de" ebenfalls zur Verfügung gestellt. Mehr kann man kaum tun, wie mir scheint.
Ja,ja, aber alles erst, nachdem die Proteste nicht mehr zu ignorieren waren. Und 6.20 Uhr spricht für sich. 30 Minuten Interview und dafür keine normale Sendezeit auf -zig ARD-Kanälen, wo sonst für jeden Schwachsinn Platz ist?
Frage: Lieber Herr Roth! Warum wurde die Passage ausgeschnitten, wo es sich darum handelte, wer den Krieg angefangen hat? Das ist meiner Meinung nach eine der wichtigsten Fragen. Alle, die ich kenne, glaubten bis vor kurzem, Russland war der Aggressor.
Thomas Roth: Putin hat doch deutlich gesagt, wie seine Sicht der Dinge ist.(....)
Aber in Original doch sehr viel deutlicher.
Frage: Hallo Herr Roth. Wie war die Stimmung in der Redaktion, als sich abzeichnete, wie viel negatives Feedback das Interview erzeugte? War man geschockt oder ist man in der Redaktion auf solche Situationen vorbereitet?
Thomas Roth: Ich selbst war überrascht, weil ich ja noch stolz darauf war, dass wir einen Teil des Interviews im ARD-Programm zeigen durften. Geschockt war ich allerdings, da doch ziemlich Viele mir mehr oder weniger deutlich unterstellt haben, dass ich ferngesteuert sei. Oder, dass ich mich zu einer offenen Zensur hergeben würde. Ich hoffe, dass ich dazu beitragen kann, zumindest diesen Verdacht auszuräumen.
Verdacht? Nach diesem Putin-Interview und Roths Erklärungen ist das Gewissheit.
Frage: Haben Sie überwiegend Zustimmung von den Kollegen erhalten? Gab es auch Kritik?
Thomas Roth: Lieber wolfo, es gab überwiegend Zustimmung, ja sogar Lob!
Das sagt Roth und Selbstzweifel sind seine Sache nicht. Er hat alles richtig gemacht und kann sich die Empörungswelle, die über die Tagesschauredaktion schwappte nicht erklären. Stolz ist er und Lob hat er auch erhalten und somit ist alles in schönster Ordnung.
Das verfälschte Interview allein hätte aber meines Erachtens nicht diese massive Reaktion in der Blogsphäre ausgelöst, in den großen Printmedien fand das kaum einen Niederschlag, wenn nicht schon seit geraumer Zeit das latente Gefühl bestehen würde, dass die Mainstream-Medien manipulierend informieren. Afghanistan, Tibet, China –Olympiade und jetzt Georgien, immer erscheint der „Fokus“, wie uns so erhellend erklärt wurde, einseitig parteiergreifend ausgerichtet. Allerdings macht die Reaktion so Vieler auf dieses Putin-Interview auch Hoffnung.
blackconti - 5. Sep, 05:03