Sonntag, 28. Oktober 2012

Memories are made of this

Herbstzeit ist in Deutschland die Zeit der Pilzsammler und somit auch die Zeit des Zweifels, denn immer ist mit Wildpilzen auch die bange Frage verbunden: Essbar oder nicht, köstlich oder todbringend? Lauert nicht eventuell ein hochgiftiger Knollenblätterpilz unter all diesen wunderhübschen Wiesenchampignons, oder hat sich möglicherweise Gevatter Tod in Gestalt eines Teufelpilzes unter all die herrlichen Maronen- oder Steinpilze geschlichen? Vorsicht scheint angebracht, eventuell sogar Misstrauen, und das führt dann im Extremfall dazu, dass ein in bester Absicht zubereitetes Pilzgericht in den Abfall entsorgt wird. So las ich es eben in einem gerade eingetroffenen Roman, in dem die Mutter mit der, von der Tochter angebotenen Pilzpfanne, genau so verfährt. Diese eher nebensächliche Episode, bei der die Mutter auf Grund der problematischen Beziehung zur Tochter sogar Vergiftungsabsichten phantasiert, weckte bei mir plötzlich Erinnerungen an eine ebenfalls sehr skurrile Pilzgeschichte:

Wer weiß schon, ob die großen, braunen Schwammerl, die man in den Urwäldern im kanadischen British-Columbia in Massen findet, so essbar sind, wie ähnlich aussehende in deutschen Wäldern? Meine vier Begleiter waren da doch ziemlich unsicher. Zwar sammelten sie mit, denn suchen musste man wirklich nicht. Die saftigen, dunkelbraunen Kappen mit den goldgelben Schwämmen auf der Unterseite reckten sich überall unübersehbar aus dem Waldboden. In solchen Mengen, dass wir Anoraks zu Tragsäcken umfunktionierten. So trugen wir die überreiche Ernte zurück zu unserem Zeltcamp. Unser kanadischer Pilot und Tourguide, er war als einziger beim Camp zurückgeblieben, schaute schon etwas skeptisch. Er kenne sich mit Pilzen nicht aus, meinte er auf unsere einschlägige Frage nach der Genießbarkeit, sei aber sicher, dass kein Kanadier so was essen würde. Ich aber hatte keine Bedenken, denn ein Biss in die rohen Schwammerl ließ mich keinen Geschmacksunterschied zu den mir bekannten deutschen Exemplaren erkennen. Also habe ich die Pilze gesäubert, zerkleinert und in einer großen Pfanne mit Fett und angeschwitzten Zwiebeln auf dem Lagerfeuer geschmort. Natürlich habe ich auch mit Salz und Pfeffer gewürzt und nach wenigen Minuten war ein schmackhaftes Pilzgericht zubereitet.
Kanada BC 1980
Meine Freunde schauten mir bei meiner Küchenarbeit interessiert zu, beobachteten mich noch interessierter beim Abschmecken – um dann die angebotenen Portionen freundlich, aber bestimmt zurückzuweisen. Meine Kumpel, wir kannten uns ganz gut, waren normalerweise keine Schisser und für einen kurzen Moment kamen auch bei mir Zweifel auf, ob es nicht ratsam wäre, auf diese Mahlzeit zu verzichten. Sollte tatsächlich irgendwas nicht stimmen, dann war, hier im tiefsten kanadischen Urwald, kurzfristige Hilfe ausgeschlossen, aber – nein, was sollte denn nicht stimmen? Lieblich duftete die Pilzpfanne und da niemand sonst zugreifen wollte, aß ich so viel ich konnte und es war köstlich.

Im weiteren Verlauf stand ich dann unter mehr oder weniger intensiver Beobachtung meiner Freunde und erst die Wirkung des Canadian-Club-Wiskeys, von dem wir einen ordentlichen Vorrat mitführten, verdrängte die besorgte Aufmerksamkeit.
Als ich dann auch am nächsten Morgen noch nicht verstorben war, sondern putzmunter aus dem Schlafsack kroch, wollten plötzlich alle zum Frühstück Pilze. Gesammelt und zubereitet waren die schnell und alle haben sie dann gegessen – auch unser kanadischer Pilot.

Tief im Süden

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