Menetekel

Fünf SPD-Nachwuchspolitiker aus Niedersachsen wollen heute „wegen perspektivischer Fehlentwicklungen in der SPD“ ihre Parteibücher zurückgeben und der Linkspartei beitreten. Die fünf Juso-Mitglieder, alle zwischen 22 und 30 Jahren alt und in leitenden Funktionen der SPD-Jugendorganisation, kritisieren die SPD als ideologie – und utopielos und, dass die Partei sich mit dem neuen Entwurf eines Grundsatzprogramms von dem Prinzip des demokratische Sozialismus verabschiedet habe.

Garrelt DuinAuf diese Nachricht fällt dem SPD-Landesvorsitzenden von Niedersachsen Garrelt Duin nichts Besseres ein als nachzutreten: „Das sind frustrierte Karrieristen!“, welche sich vergeblich um höhere Parteiämter beworben hätten und denen man keine Träne nachweine. Deren Kritik am sozialen Profil der SPD, so Duin, nähme er nicht ernst.



Meines Erachtens nach sollte er das aber besser ernst nehmen, denn wenn der engagierte
Nachwuchs der SPD gleich in Scharen wegläuft, dann ist das ein Menetekel, welches für die Zukunft dieser Partei nichts Gutes erahnen lässt.

Im vorliegenden Fall verlassen nämlich nicht die Ratten das sinkende Schiff, sondern die wenigen Gesunden fliehen vor der Seuche Koalitionsharmonie vom schlingernden Geisterkahn SPD, um auf dem gradlinig kurshaltenden Boot „Linkspartei“ anzuheuern. Die SPD wird so schnell nicht untergehen, aber die Zeichen mehren sich, dass sie , wenn sie ihr Profil nicht schnell schärft, bald nur noch verschwommen als „fliegender Holländer“ in den politischen Gewässern dümpelt.
Gregor Keuschnig - 12. Jun, 10:32

Das ist ein bisschen...

mit der Umorientierung vieler SPDler ind en 80er-Jahren zu den "Grünen" hin vergleichbar - insbesondere die leicht arrogante Haltung der SPD.

Die Teilnahme an der Grossen Koalition ist für die SPD ein schwerer Gratgang. Das war im voraus zu erahnen, weswegen es besser gewesen wäre, das parlamentarische System in Deutschland wäre etwas flexibler und man hätte eine CDU/FDP-Minderheitsregierung geduldet.

Die Teilnahme der SPD in der Grossen Koalition 1966 diente ihrer Vorbereitung, um sich nach über 20 Jahren auf eine irgendwann notwendige Regierungsführung vorzubereiten. Die SPD des Jahres 2005 war ausgebrannt (programmatisch und personell) - das zeigt sich jetzt an allen Punkten. Da sind die Verheissungen der Linkspartei an junge "Genossen", die an den Betontüren der SPD nicht rütteln können, enorm. Das als Karrieristentum zu denunzieren zeigt den wirklichen Grad der Betroffenheit an.

blackconti - 12. Jun, 14:30

Genau wie Sie fühle ich mich sofort an die Anfänge der Grünen erinnert, nur ist die Situation für die SPD heute ungleich gefährlicher, da es 2 Alternativen gibt, Grüne und Linkspartei, beides wählbare, demokratische Parteien mit Potential, welche zusammengenommen die Klientel der SPD, bezogen auf die Programme, fast zu 100% abdecken. Der linksorientierte Wähler findet sich doch mittlerweile bei den beiden Alternativen besser aufgehoben, als bei der diffusen "Realpolitik" der, wie Sie richtig bemerken, ausgebrannten Sozialdemokraten. Es ist ja geradezu ein Witz, dass die SPD die Möglichkeiten zur Bildung einer linken Mehrheit in Deutschland entrüstet ablehnt. Sollte sie diese Position noch lange beibehalten, droht der SPD ein baldiges Ende als Volkspartei.
Gregor Keuschnig - 12. Jun, 14:39

Die Ablehnung der SPD

resultiert ja hauptsächlich aufgrund der Person Oskar Lafontaine. Das kann ich sogar (in Grenzen) verstehen.

Das "Volkspartei"-Image ist die SPD schon lange los. Seit der letzten Wahl die CDU übrigens auch. Wenn sich (Ihr Freund!) Söder über die "30 Prozent-Partei" lustig macht, so muss man konstatieren, dass die CDU bei rd. 28% liegt und die CSU bei rd. 7% (man siehe hier.)
blackconti - 12. Jun, 15:07

Ach ja, der Söder, was der so redet, wenn der Tag lang ist!
Aber um auf den Punkt Lafontaine zu kommen: Was hat der Mann eigentlich verbrochen? Er hat die Art der Wiedervereinigung kritisiert, wofür er von der unsäglichen Kohl-Regierung und den (Springer)medien als Wiedervereinigungsgegner diffamiert wurde, was ihm heute noch, zu Unrecht, anhaftet. Er wollte sicherlich ebenfalls Bundeskanzler werden, hat sich aber dann, als er den Machtkampf verloren hatte und als die Querelen mit Schröder zu heftig wurden, von allen Ämtern zurückgezogen. Meiner Ansicht nach war das ein höchst ehrenwerter Zug, denn er wäre als Parteivorsitzender nur als Störenfried empfunden worden. Ganz im Gegensatz zu so manch Anderen, die sich solche Rückzüge gerne durch diverse Posten vergolden lassen, ist er einfach Privatier geworden. Wenn man zu Gunsten Lafontaines davon ausgeht, dass er ein ehrlich- linksorientierter Politiker ist, so ist doch sein Wechsel zur Linkspartei nur konsequent. Was also wirft die SPD ihm vor. Ich habe vor dem Mann, ungeachtet seiner sicher vorhandenen persönlichen Eitelkeiten und Schwächen eine ziemliche Hochachtung.
Gregor Keuschnig - 12. Jun, 21:53

Hier haben wir mal keine Übereinstimmung

Was Lafontaine verbrochen hat? Nun, nicht, dass er mal Kanzler werden wollte und die Deutschen deutlich weniger als Kohl belog. Und auch nicht, dass und wie er aus rein machttaktischen Gründen den damaligen Parteivorsitzenden Scharping abservierte und sich selber positionierte. All das gehört zur Politik. Nein, Lafontaine war für mich einmal eine Art Hoffnungsträger.

Sein „Friedensschluss“ mit Schröder 1998, der in der Kanzlerschaft Schröders mündete, war natürlich strategisch. In Wahrheit dürften sich beide immer fremd geblieben sein. Aber Politik besteht auch darin, innerparteiliche Differenzen auszuhalten und in Konsense zu überführen. Schröder dürfte sich nach dem Wahlsieg nicht wesentlich charakterlich verändert haben. Das Lafontaine den Kosovo-Krieg im Kabinett nicht mittragen wollte, kann ich verstehen. Seinen Rücktritt könnte ich auch verstehen. Aber: Es gab keinerlei Begründung 1999 von seiner Seite. Stattdessen das Bild mit seinem Sohn im Nacken. Warum das denn, bitteschön?. Wie eine beleidigte Leberwurst zog sich Lafontaine aus dem Kabinett zurück. Aber nicht genug. Er schmiss auch noch das Amt des SPD-Parteivorsitzenden wie ein gebrauchtes Handtuch einfach so weg.

Bei allen Differenzen – die SPD ist kein Karnickelzüchterverein, wo man mal eben die Brocken hinwerfen kann. Lafontaines überhasteter Rückzug ins Private war – das zeigt sein jetziges Engagement – unehrlich und geschah (was das Parteiamt angeht) ausschliesslich aus persönlich gekränkter Eitelkeit. So gut, so schön – noboby is perfect. Aber dann nach Jahren eine neue Front aufmachen? Das ist schon arg hinterfotzig.

Vielleicht habe ich einen zu hehren Anspruch von Politik. Aber jemand, der das in Sturm geratene Schiff nicht nur ins warme Beiboot verlässt, sondern Jahre später noch die Planken ansägt – vor so einem kann (und will) ich keinen Respekt mehr haben. Und noch etwas: Dass sich ein Mensch wie Bisky, der sicherlich auch kein Engel war, mit diesem intellektuellen Pygmäen Lafontaine abgibt, erstaunt mich doch sehr.
blackconti - 13. Jun, 20:26

Differenzen – wieso auch nicht?

Wie unterschiedlich man Bilder beurteilen kann. Lafontaines Auftritt auf dem Balkon mit dem Sohn auf den Schultern empfand ich geradezu erfrischend. Er demonstrierte der seit Tagen vor seinem Haus versammelten Journalistenmeute auf diese Weise, dass er nun Privatmann sei und die SPD nicht mehr auf ihn zählen könne. Schröders SPD war einfach nicht mehr seine Partei, in deren Dienst er schließlich fast sein Leben verloren hätte.
Überhaupt scheinen mir die Nachwirkungen des Attentats eine wichtige Rolle im weiteren Verhalten Lafontaines zu spielen. Er verübelt der SPD, dass die Partei dieses, für ihn sicher traumatische Erlebnis, nicht durch Dankbarkeit gewürdigt hat und zur Tagesordnung übergegangen ist.
„Intellektueller Pygmäe“? - Jedenfalls ehrt es Sie, dass Sie aus Ihrer Abneigung keinen Hehl machen.

Herzlichen Gruß
Gregor Keuschnig - 13. Jun, 20:34

Ich glaube auch, dass Lafontaine die Folgen des Attentats vermutlich nicht "aufgearbeitet" hat. Auch hat er 1998 nach der gewonnenen Bundestagswahl vermutlich mehr Streicheleinheiten aus der Partei erwartet, da er glaubte (ob berechtigt oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen) der Vater des Erfolges zu sein. Bereits damals war dies sicherlich falsch; Lafontaine und auch seine Frau hatten üble Kampagnen u. a. in der "Bild"-Zeitung zu überstehen. Da hat er dann geschmissen; menschlich verständlich - politisch in mehrfacher Hinsicht fatal.

Das Bild mit seinem Sohn auf den Schultern fand ich zunächst auch erfrischend - aber bereits das war schon wieder inszeniert... Sie merken, ich kann's nicht lassen. Pardon.
Köppnick - 19. Jun, 19:17

Ganz spontan

denen man keine Träne nachweine

Ganz spontan fiel mir bei dem obigen Satz ein, dass auch Honecker ähnliches gesagt hat, als sich 1989 die Botschaften in Prag und Budapest mit jungen ostdeutschen Familien gefüllt haben.

Interessant ist auch der eklatante logische Widerspruch in den Aussagen der SPD:
  • Einerseits gibt man der Linkspartei keine Chancen in den Parlamenten,
  • anderseits wirft man den Wechslern Karrierismus vor, so als ob sie automatisch glänzende parlamentarische Chancen in der Linkspartei haben werden.

blackconti - 19. Jun, 23:32

Ja, alles hört sich sehr nach "Pfeifen im Walde" an.

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