Zeichen der Zeit

Meine ganze Kindheit verbrachte ich im Bergischen Land und Wuppertal war die zentrale Stadt für einen Großeinkauf und natürlich kulturelles Zentrum. Im Stadttheater Wuppertal sah ich mein erstes Schauspiel und auch meine erste Oper. Wir waren arm, Deutschland war arm nach dem Krieg, aber selbstverständlich gab es die städtischen Bühnen und die Idee, diese Institution wegen fehlender finanzieller Mittel zu schließen, lag völlig außerhalb jeglicher Vorstellungskraft – 1950 oder 1960.

Heute, 2009, sieht die Sache ganz anders aus. Deutschland ist eine reiche Nation. Das Bruttosozialprodukt stieg beständig von Jahr zu Jahr, die meisten Menschen leben in einem relativen Wohlstand und die Zahl der Millionäre und Multimillionäre zeigt ein stetiges Wachstum. Selbst der Staat kann kurzfristig Billionen an Stützungsmaßnahmen für Banken locker machen, die durch Fehlspekulationen zu kollabieren drohen. Für die städtischen Bühnen Wuppertal allerdings ist kein Geld mehr da. Die werden jetzt geschlossen. ..
pathologe - 20. Nov, 18:02

Kultur

ist in einer Kosten-Nutzenrechnung eben nicht überlebensfähig. Anstelle der Bühne kann man ja schließlich ein kombiniertes Wohn- und Geschäftshaus errichten und gewinnbringend verkaufen oder vermieten. Der ROI (return of investment) ist da um Einiges höher als bei der Vermittlung von Kultur. Wir brauchen keine belesenen Spinner, die Schillers "Glocke" kennen, wir brauchen konsumierende Idioten, die Angst vor den "Räubern" haben und Schiller nur als Locken aus der Nordsee kennen.

blackconti - 22. Nov, 00:56

Ja klar, modern times, aber das erklärt mir nicht wirklich wieso die Kommunen heute finanziell so ausgeblutet sind, dass sie sich das, was über ein halbes Jahrhundert oder länger zur selbstverständlichen Ausstattung einer Großstadt gehörte, heute nicht mehr leisten können. Ich unterstelle der Kommunalpolitik oder dem Stadtkämmerer da gar kein Kulturbanausentum. Die haben schlichtweg kein Geld mehr und das in einem immer reicher gewordenen Land. Aber der Reichtum wird immer stärker privatisiert. „Steuersenkungen“ lautet das endlos wiederholte Mantra. Die Folgen hast Du ja treffend benannt. Dass die Politik dies zulässt, ist ein Skandal.
pathologe - 22. Nov, 07:37

Das

Seltsame ist ja, dass hier in Qatar alles etwas anders aussieht und trotzdem funktioniert. Arbeitnehmer verdienen steuerfrei (unter der Einschraenkung, dass es eben auch sehr viel Billigloehner gibt), auslaendische Firmen werden gerade mal mit 10 Prozent besteuert. Dennoch unterstuetzt der Emir Kultur hier, es gibt ein Philharmonieorchester, es gibt Veranstaltungen, deren Eintritt nicht mal teuer ist. Wenn nicht sogar frei. Letztes Jahr gab es ein Konzert mit Placido Domingo, dessen Eintritt frei war. Gerade laufen deutsch-katarische Kulturwochen, in deren Verlauf 5 deutsche Filme im Kino gezeigt werden, die ebenfalls keinen Eintritt kosten.

Das Gesundheitswesen ist fuer Qataris frei, Nicht-Qataris zahlen eine jaehrliche Krankenkassenabgabe von 100 QAR, das sind etwa 18 Euro. Dafuer gibt es freie Behandlung in staatlichen Krankenhaeusern, die dort verschriebene Medizin ist subventioniert und kostet pro Packung QAR 2 (etwa 36 Eurocent), eine Nacht stationaer liegt bei etwa 100 QAR. Man kann natuerlich auch in private Kliniken gehen, wo alleine die Konsultation eines Arztes schon mit QAR 500 zu Buche schlaegt. Diese Privatkliniken verweisen den Patienten in kritischen Faellen allerdings auch wieder an die staatlichen Krankenhaeuser.
blackconti - 22. Nov, 09:24

Nun glaube ich zwar, dass man das kleine öl- und erdgasreiche Emirat Qatar mit seinen knapp 1 Millionen Einwohnern nicht unbedingt mit Deutschland vergleichen kann. Lt. Wikipedia gilt Quatar als das reichste Land Asiens und da sind die von Dir genannten Sozialleistungen und Kulturausgaben wohl aus der Portokasse zu finanzieren. Dennoch stimme ich Dir insofern zu, dass ein Staat die Förderung von Kultur und sozialer Wohlfahrt mit Priorität betreiben und finanziell hinreichend unterfüttern muss, anstatt nur immer von „Bildung“ und „Kultur“ zu faseln, alle diesbezüglichen Budgets aber runterzufahren.

Danke übrigens für Deine Anregung, mir Qatar über Google Earth und Wikipedia einmal etwas näher anzusehen. Wegen so was liebe ich Blogs.

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