„Dies ist kein Gedicht!“…

..meint Ioma Mangold, deutsch-nigerianischer Literaturkritiker, in der 3sat-Kulturzeit und er hat recht. „Da wurde einfach in einem sprachlichem Text, fast unterhalb des Schriftlichen, die Enter-Taste gedrückt, um Absätze einzufügen, damit es graphisch wie ein Gedicht aussieht.“ Ja, Gras hat hier zum Selbstschutz einen Trick angewandt, denn ein „Gedicht“, ein lyrisches Kunstprodukt, ist schwieriger angreifbar und dass sofort nach Veröffentlichung dieser politischen Meinungsäußerung die veröffentlichte Meinung als „Sturm der Entrüstung“ über ihn herfallen würde, hat er selbstverständlich erwartet.

Oh ja, die Süddeutsche und Andere hatten den Gras-Text kaum gedruckt, da standen sie schon auf der Matte, all die bekannten Gesichter, vom Zentralrat der Juden in Deutschland über den CDU-Dödel Gröhe, von der SPD-Nöhle Nahles bis zum unvermeidlichen Hendrik M. Broder und ließen reflexartig den Antisemitismusknüppel aus dem Sack. Empörung auf allen Kanälen und am nächsten Morgen, untergehakt, die gesamte Mainstreampresse.

Erstaunlich ist hingegen die Reaktion der gemeinen Leser, Hörer oder Zuschauer in den Kommentarfunktionen der jeweiligen Medien. Dort ist bis auf wenige Ausnahmen nur Zustimmung zum Grass-Text zu finden und dass dies alle Antisemiten oder Israel- und Judenhasser sind, ist zumindest den Zuschriften nicht zu entnehmen.

Israel zeigt sich weiter entschlossen, bald schon den Bau einer iranischen Atombombe mit einem Angriff zu verhindern. Ein Schlag gegen die iranischen Atomanlagen sei "keine Frage von Tagen oder Wochen, aber auch nicht von Jahren", warnte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kurz nach der Rückkehr von seinem USA-Besuch. (Die Zeit/ Haaretz 03.12)

Was ist so abgrundtief falsch an der Sorge von Grass, wenn er am Anfang schreibt:

„Warum schweige ich, verschweige zu lange,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde, an deren Ende als Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.“


Oder, wenn er, eingedenk obiger israelischer Erstschlagsentschlossenheit, die nun wieder anstehende Lieferung eines weiteren deutschen U-Bootes an Israel, geeignet zum Abschuss von Nuklearraketen, als akute Gefährdung des Weltfriedens fürchtet und deshalb das Tabu-Thema „Atommacht Israel“ nicht länger schweigend akzeptieren will?

Grass wird nun ganz simpel vorgeworfen, er stelle die Dinge auf den Kopf. Schließlich wolle der Iran Israel von der Landkarte radieren, was, so wird dann erklärt, dieser Ahmadinedschad ja explizit gesagt habe. Das stimmt natürlich so nicht, wie jeder leicht selbst googeln kann. Aber was interessieren die Fakten, wenn es gilt ein Feindbild aufzubauen?

Grass meinte heute in einem Interview, dass er in seinem „Gedicht“ einen Fehler erkennt. Er habe „Israel“ geschrieben, wo er präziser „die israelische Regierung Netanjahu“ hätte schreiben müssen. Da ist was dran, aber das wissen wir Leser seiner Zeilen schon richtig einzuordnen. Antisemiten sind wir nämlich nicht.

PS: Eine Kostprobe eines besonders bösartigen Kommentators findet man hier. Nein, ist nicht vom Broder, aber von einem Bruder im geifernden Geiste.
Ducky0606 - 8. Apr, 13:35

Literarisch find ich es eher peinlich und eines Literatur Nobelpreisträgers eher unwürdig.
Er hätte vielleicht ala Baron Münchhausen Deinen Beitrag copy&pasten sollen ;)
Die gemeinschaftliche Reaktion der Presse spricht Bände über die Meinungsfreiheit in Deutschland. Das Einreiseverbot nach Israel wird GG natürlich schwerst treffen und zeigt einmal mehr die totalitären Strukturen, die Netanjahu durchgesetzt hat.
Pfui ja, aber nicht unbedingt gegen Grass

blackconti - 8. Apr, 16:26

Ich bin da wirklich kein Experte, um über die literarische Qualität zu urteilen. Ich halt’s eher für kein Gedicht, sondern für einen Kniff, aber das schrieb ich ja schon.
Ich denke, dass es hier nicht um Meinungsfreiheit geht. Grass sagt, was er sagen will, ich sag’s und Du auch. Grass wird veröffentlicht und all die ihn stützenden Leserzuschriften auch. Der Begriff „Gleichschaltung“ trifft’s da schon eher und jeder Hinweis, dass es doch in dieser oder jener Nische, in diesem oder jenem Nachtprogramm doch auch noch abweichende Ansichten gäbe, macht nur deutlicher, wie falsch das Hohelied der Meinungsvielfalt mittlerweile besungen wird. Wir leben in postdemokratischen Zeiten. Worauf soll man noch hoffen, wenn uns ein Nullum wie die Piraten schon als demokratische Wahlalternative verkauft wird?
Ducky0606 - 9. Apr, 08:46

Amen
blackconti - 9. Apr, 15:10

Amen = so sei es! Was Du damit ausdrücken möchtest, müsstest Du schon ein wenig erläutern.
Ducky0606 - 10. Apr, 10:12

"Worauf soll man noch hoffen, wenn uns ein Nullum wie die Piraten schon als demokratische Wahlalternative verkauft wird?"

Amen!
Passend heute die Meldung bei Spiegel online, dass die Piraten die Grünen überholen.
Dazu hat gestern ein CSU Mensch (Überraschung!) was wirklich treffendes gesagt. Sinngemäß: "Die Grünen sind für die junge, Technik verliebte I Pad Generation nicht mehr als Prostestpartei tauglich mit ihrer Technik feindlichen Einstellung. Da kommen dann die Piraten ganz recht."

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