Mandelas Erben

In den letzten Wochen oder Monaten konnte man in den Begleitschreiben von Gregor Keuschnig einige interessante Beiträge und Überlegungen zum System der Demokratie lesen, die für mich solange nachvollziehbar oder bedenkenswert sind, solange ich mich, zwar seit einigen Jahren in Afrika lebend, aber geistig-kulturell nach wie vor in Europa verwurzelt empfinde. Sobald ich aber einen südafrikanischen Blickwinkel einnehme, scheinen all die aufgeworfenen Fragen und Überlegungen eher müßig und irrelevant, obwohl Südafrika ein im besten Sinne des Wortes demokratisch verfasster Staat ist.

Mbeki and ZumaOne man, one vote – frei und geheim, das ist hier bei Wahlen absolut gegeben, es gibt regionale und kommunale Organisationen, die demokratisch gewählt und in denen Entscheidungen demokratisch beschlossen werden. Und trotzdem verspürt man kaum politisches Interesse, weder in den Medien und schon gar nicht in der Bevölkerung. ja, eher ein Gefühl von Resignation bei den Weißen und weitgehendem Desinteresse bei der schwarzen Bevölkerung. Zu betoniert sind hier die Mehrheitsverhältnisse, Opposition findet zwar verbal statt, ist aber völlig macht- und belanglos, weil, von vernachlässigbaren Ausnahmen abgesehen, Schwarz schwarz, sprich den ANC, und Weiß weiß, die DA, wählt. Die Stimmenanteile entsprechen dann dem Bevölkerungsverhältnis, 9 : 1 für den ANC. Das ist auch der Grund, warum jetzt schon feststeht, dass der nächste Präsident Südafrikas Jacob Zuma heißen wird, obwohl dieser Mann in zahlreiche Korruptions- und sonstige Affären verstrickt war und ist, aber halt auch seit einem halben Jahr Parteivorsitzender des ANC.

Natürlich darf sich die weiße Bevölkerung nicht über diese Verhältnisse beklagen, hat sie doch durch die Jahre der Apartheid die Bildung der Parallelgesellschaften befördert und zu verantworten. Der weiße Rassismus ist unter der Oberfläche nahezu unverändert virulent, aber mittlerweile gibt es auch Anzeichen für einen schwarzen Rassismus, bzw. eine ziemliche Überheblichkeit mancher Schwarzer, die durch die Umkehrung der Machtverhältnisse in gehobene und höchste Positionen gelangt sind.

Nelson MandelaDiese Arroganz der Macht hat aber für die jeweiligen Protagonisten keine negativen Auswirkungen und findet im Wählerverhalten keinen abstrafenden Niederschlag, weil die in europäischen Demokratien übliche Aufteilung in zwei etwa gleichstarke linke und rechte Lager in der südafrikanischen Gesellschaft durch das oben erwähnte 9 : 1 –Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß gebildet wird. Da die Mehrheit der schwarzen Wähler kaum lesen und schreiben kann, ist eine auch nur halbwegs abgewogene Wahlentscheidung nicht zu erwarten, zumal der ANC alle gesellschaftlich relevanten Schaltstellen bis in die kleinsten Verästelungen besetzt hat. Die südafrikanische Demokratie ist mit den demokratischen Systemen Europas zwar formal, in der Praxis aber überhaupt nicht zu vergleichen.

Am Beispiel Zimbabwes, diesem ebenfalls absolut demokratisch verfassten, nördlichen Nachbarstaat Südafrikas lässt sich ermessen, wie sehr die Demokratie hier einzig vom Goodwill der jeweiligen Machthaber abhängt. Dieser gute Wille ist z.Zt. in Südafrika noch gegeben, aber das Eis ist sehr, sehr dünn. Ob es auch nach Mandela noch trägt?
Gregor Keuschnig - 14. Jul, 12:32

Ihr Beitrag holt einem ein bisschen von den hohen theoretischen Sphären wieder zurück auf den Boden. Er enthält letztlich all die Fragen, die sich mir auch nach Lektüre der gelesenen Bücher kaum beantwortet haben.

De facto ist Südafrika eine Demokratie. In Wirklichkeit stimmen die Menschen aber offensichtlich nicht aufgrund politischer Erwägungen ab, sondern - beispielsweise - aufgrund der Ethnie und/oder Hautfarbe. Das sind m. E. typische Kennzeichen junger Demokratien, in denen Parteien sich oft über ethnische Attribute konstituieren. Der ANC gilt eben als DAS Symbol gegen die Apartheid - und wird (mangels Alternative?) sozusagen aus Tradition gewählt. Zwar gibt es zum ANC offensichtlich kaum Konkurrenz - aber wie alle Monopolisten neigen diese irgendwann zu Vetternwirtschaft und Korruption. Das wäre aber in einer diktatorischen Struktur ähnlich - nur durch die entsprechenden Machthaber verschwiegen.

Dass alles offen gesagt werden kann und folgenlos bleibt: Auch eine Art des Volkes, politisch zu agieren. Und sei es mit Resignation. Das erinnert an die Wählerschlangen in osteuropäischen Ländern Anfang der 90er Jahre - und wenige Jahre später gehen dann noch knapp 50% wählen. Die Attraktivität demokratischer Strukturen schwindet offensichtlich unglaublich schnell. Warum? Weil die Erwartungen zu hoch waren? Weil der Gegner feststand - s. h. man wusste, wogegen es ging - aber keine positive Besetzung stattfand?

Wer trifft denn in Deutschland eine auch nur halbwegs abgewogene Wahlentscheidung? Geht es nicht längst um ein Geschachere wie auf dem Markt, in dem noch schnell Geschenke verteilt werden, um entsprechende Klientel milde zu stimmen? Wer die grössten Versprechungen macht, darf mit entsprechenden Stimmen rechnen. Wer die Probleme anspricht und benennt und Konzepte entwirft, die u. U. auch ein bisschen weh tun, wird abgestraft. Man KANN das "politischen Diskurs" nennen - denn letztlich bekommt jede Gesellschaft die politischen Eliten, die sie verdient.

blackconti - 14. Jul, 14:33

Danke, Herr Keuschnig, für diesen Kommentar, beruhig er mich doch in sofern, dass wenigsten einer verstanden hat, was ich ausdrücken wollte. Ich hatte da so meine Zweifel beim Schreiben des Beitrags, denn leider fehlt mir Ihre Gabe, komplizierte Zusammenhänge mit einem Satz prägnant auf den Punkt zu bringen.
Noch eine kurze Erläuterung zu Ihrer Klammerfrage (Mangels Alternative?):
Hier bei uns in der Provinz KwazuluNatal erreichte die Inkatha Freedom Party ( IFP) mit dem Parteivorsitzenden Mangosuthu Buthelezi bei den ersten freien Wahlen 1994 die absolute Mehrheit und landesweit einen Stimmenanteil von ca. 10%. Im Vorfeld dieser Wahlen kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern des ANC und der IFP bei denen etwa 7000 Menschen ums Leben kamen. Diese Kämpfe waren eher Stammesfehden. Der ANC repräsentiert den Stamm der Xhosa und andere, die IFP den bevölkerungsstärksten Stamm Südafrikas, die Zulus. Nachdem die IFP die ’94-er Wahl boykottieren wollte, gelang es Nelson Mandela im letzten Moment noch Buthelezi umzustimmen und die IFP wurde in die erste freigewählte Regierung eingebunden. Seitdem schwindet der Einfluss der IFP zusehends, unter anderem auch, weil über den IFP in die Parlamente gewählte Abgeordnete scharenweise zum ANC überliefen, sogenanntes Floorcrossing, um irgendwelche lukrativen Posten zu ergattern.
So etwas kennt man in gewachsenen europäischen Demokratien natürlich nicht – ääh, na gut, aber wenigsten ist die Wahlentscheidung in gestandenen Demokratien halbwegs abgewogen – ääh, auch nicht? Na gut, lassen wir das.

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