„Anne Will“ wird immer besser

Endlich habe ich das Prinzip begriffen. Durch die scheinbare Unausgewogenheit der Gästeliste, immer sind die Vertreter des Kapitals oder die Befürworter von Militäreinsätzen in der Überzahl, macht sich Anne Will unangreifbar. Scheinbar zu einer straffen Gesprächleitung unfähig, erlaubt sie den Vorgenannten sich einem Millionenpublikum in ihrer ganzen ignoranten Unverfrorenheit vollständig zu entblättern.

Letzten Sonntag gelang Anne Will ein ganz außerordentlicher Coup. Zur Einstimmung spielte sie noch mal den schmierigen zu Guttenberg mit seinem ekelhaft-pathetischen „Ja“ auf die angebliche Frage seiner kleinen Tochter ein. Der Videoausschnitt der zu Guttenberg’schen Trauerrede ist ja an heuchlerischer Peinlichkeit kaum zu überbieten und somit war eine gute Grundlage für weitere Peinlichkeiten gelegt.

Schon bald gab sie dem immer fetter werdenden Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel die Gelegenheit, die Gründe für den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr darzulegen. Wir lernten dabei, dass es darum gehe, den Terroristen den Zugang zu Atomwaffen in der Region, aus China, Pakistan, Indien und irgendwelchen ehemals russischen Anrainerstaaten zu verwehren. Da dies von der Raus-aus-Afghanistan-Fraktion (Willemsen/ Gysi) mit einigem Erstaunen, weil brandneu, und einer gewissen spöttischen Heiterkeit hinterfragt wurde, schickte Niebel die seit Jahren bekannte Version vom Befrieden der Region durch Mädchenschulen und Brunnen- und Straßenbau hinterher, das übliche Gewäsch der CDU/FDP/SPD/Grüne-Regierung halt.

Dann durfte der, wegen seiner Irak-Kriegsunterstützung durch genaue Kenntnis der Massenvernichtungswaffen des Saddam Hussein, hinlänglich bekannte Bundeswehr- Hochschulprofessor Michael Wolffsohn seine Hau-drauf und Rein-Raus-und wieder rein- Strategie erläutern. Nun ja, den guten Michael kennt man u.a. aus dem Broder-Umfeld der „Achse des Guten“ und da weiß man natürlich, welch niedriges Niveau man erwarten darf.

Den Höhepunkt aber bildete Kerstin Müller. Die Frau ist außenpolitische Sprecherin der Grünen und eine gnadenlose Verfechterin des Afghanistan-Kriegseinsatzes. Ihrer Argumentation, im geifernden Stakkato vorgetragen, konnte ich leider nicht richtig folgen , irgendwas mit enttäuschten Soldaten und armen, unterdrückten Frauen – ach, eigentlich war’s mir auch egal. Hellhörig wurde ich erst, als sie die „Raus-aus-Afghanistan“-Forderung einer überdeutlichen Mehrheit der Deutschen angesichts der toten Soldaten als „schäbig“ bezeichnete. Aber damit nicht genug. Sie verstieg sich auch noch zu der Behauptung, die 70% der Deutschen, die den umgehenden Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan forderten, spielten dem afghanischen Widerstand in die Hände und seien letztlich schuldig am Tode der Soldaten. Dieser Auffassung schlossen sich Niebel und Wolffsohn nur zu gerne an.

Aha, darauf läuft es jetzt hinaus. Die Neuauflage der Dolchstoßlegende! Wir sind also schuld daran, bewusst oder unbewusst, dass die aufständischen Afghanen deutsche Soldaten töten. Mein Gott, da schäme ich mich aber jetzt. Natürlich nicht für meine pazifistisch Meinung zum Krieg, sondern dafür, dass ich die Grünen bislang für eine im Grundsatz pazifistische Partei gehalten und sie u.a. auch deshalb gewählt habe. Dass die Grünen für mich jetzt nicht mehr wählbar sind versteht sich ja wohl von selbst.

Ganz schön subversiv, die Anne Will.
Mimiotschka - 20. Apr, 05:26

Und wieder einmal bin ich froh, dass ich kein Fernsehgerät besitze und mir diese 'Grütze' erspart bleibt.

pathologe - 20. Apr, 07:22

Ach so.

Jetzt lueftet sich fuer mich die Asche, die das alles bedeckte. Die afghanischen Terrorzellen wollen also die Bundeswehrsoldaten unbedingt im eigenen Land behalten und sie nicht abziehen lassen. Und damit die das nicht auf eigenen Fuessen tun, deshalb erschiessen die Afghanen die Deutschen. Wenn wir jetzt also den Abzug fordern, zwingen wir die Afghanen, in Notwehr zu schiessen.

Ich glaube, das uebersteigt selbst die Vorstellung des Sohnes eines Herrn Schicklgruber ueber seine Plaene des Lebensraums im Osten und dessen Besiedelung.

Köppnick - 20. Apr, 19:41

Ich habe es schon zigmal verlinkt, weil es in diesem Zusammenhang so gut passt:
1970, Tegers Versteigerung eines Dollars
In diesem Versuch wurde jeweils ein Dollar versteigert und an den Meistbietenden verkauft. Im Unterschied zu normalen Versteigerungen musste jedoch auch der Zweitbietende seine Summe entrichten. Die Wirkung dieser Klausel haben viele der teilnehmenden Studenten erst während des Bietens begriffen: Normalerweise wird man für einen Dollar nur maximal 100 Cent bieten. Was aber passiert, wenn man mit 99 Cent der zweithöchste Bieter ist? Man büßt 99 Cent ein. Deshalb geht das Bieten weiter, denn wenn man z. B. 101 Cent bietet und den Zuschlag erhält, verliert man nur einen Cent. Allerdings hat das zu diesem Zeitpunkt der andere Bieter ebenfalls erkannt, das Bieten geht also weiter. Im extremsten Fall wurde die Dollarnote für 20 Dollar versteigert.

Der Psychologieprofessor Teger war auf die Idee dieses Versuchs zu kommen, weil es so schwer zu verstehen war, warum die US-Regierung den Vietnamkrieg immer weiter und weiter geführt hat, obwohl die Verluste immer größer wurden und den erwarteten Nutzen bei weitem überstiegen. Es war den Amerikanern einfach unmöglich, die bereits entstandenen Verluste zu akzeptieren und schnellstmöglich aufzuhören, obwohl das die beste Entscheidung gewesen wäre. - Vergleichbares gilt für viele Konflikte (aktuell zum Beispiel im Libanon), die immer weiter eskalieren und wo im Verlauf immer größerer Schaden entsteht.
Kriegsbefürworter haben es immer geschafft, wenn sie die Kriegsteilnahme erreicht haben. Ab diesem Zeitpunkt "kennt man nur noch Deutsche", "sitzen wir alle in einem Boot" etc. pp. und alle, die abziehen wollen, "stoßen unseren tapferen Soldaten im Feld den Dolch in den Rücken" und "sie dürfen nicht umsonst gestorben sein".

blackconti - 21. Apr, 00:59

Ja, das passt wirklich. Und natürlich wird jetzt wieder die ewig gleiche Litanei runtergebetet, was mich ( uns) allerdings ziemlich kalt lässt.
Ich hoffe, es geht Dir gesundheitlich wieder besser.
deprifrei-leben - 20. Apr, 19:49

Das zu viel leuchtende Gelb beim lesen ist sehr unangenehm und dann kann man schwer lesen.

In den Zusammenhang fand ich Kerstin Müllers "Schäbig" daneben.
Ich bin hin und her gerissen. Wenn wir rausgehen, lassen wir ein Land zurück, dass sich aus eigener Kraft nicht aus der Unterdrückung und dem Krieg rausziehen kann.
Wir haben zuviel ins Militär investiert und zu wenig in Bildung, Polizei, staatliche Strukturen und Arbeitsplätze, die nicht von Mohnanbau leben.
So lange die Taliban der größte Arbeitgeber sind, wird sich nichts ändern.
Die Menschen brauchen eine Perspektive!
Ein Rückzug wäre wie eine Kapitulation vor dem Terror.

blackconti - 21. Apr, 01:34

Nun gut, dann ändere ich das leuchtende Gelb halt in ein fahles.
Meine Meinung ändere ich aber nicht. Natürlich lassen wir ein zerrissenes Land zurück, wenn wir rausgehen. Aber haben wir in einem Bürgerkrieg in Afghanistan etwas verloren? Wir sind dort, weil wir den Amis uneingeschränkte Unterstützung zugesagt haben und wir sind sofort wieder weg, wenn die Amis rausgehen , egal welches Chaos dort hinterlassen wird. Wetten? Menschenrechte, Bildung und Demokratieinstallierung sind doch nur hohles Geschwafel zur Verkleisterung der Hirne. Da gäbe es aber viele Baustellen auf der Welt. Kapitulation vor dem Terror? Ja glaubst Du ernsthaft, dass man den Terror mit einer Armee bekämpfen könnte?

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