Samstag, 11. Mai 2013

Radiodays

Radioskala 1952
Beromünster, Stavanger, Hilversum – schwach erleuchtete, geheimnisvolle Namen auf der Senderskala des Radios und für mich als Kind in den frühen Fünfzigern des letzten Jahrhunderts der Inbegriff der weiten Welt. Immer wieder las ich diese Namen, von Orten, von denen ich nicht wusste, wo und evtl. in welchem Land sie zu finden wären, was meine Phantasie allerdings um so mehr beflügelte. Drehte ich am Skalenknopf auf diese Namen, so hörte ich am Tage, außer einem diffusen Rauschen, gar nichts. Am Abend jedoch, bei Dunkelheit, plötzlich Stimmen oder Musikfetzen, undeutlich, unverständlich und dennoch faszinierend. Stimmen oder Musik von weit her, direkt in unsere kleine, provisorisch ausgebaute Mansardenwohnung direkt unter dem Dach, in der auch tagsüber das elektrische Licht eingeschaltet werden musste, da, ansonsten fensterlos, einzig ein Oberlicht in der Decke ein wenig Tageslicht einfallen ließ.

Das Radio war damals das Medium, das den Tag und die Woche strukturierte, das, ähnlich dem späteren Fernsehen, die Menschen zu Millionen vor den Rundfunkgeräten vereinte bei einem Hörspiel oder einem „Bunten Abend“ mit Peter Frankenfeld am Wochenende. Wir Kinder wurden jeden Dienstag, Donnerstag und Sonntag mit dem Kinderfunk bedient, wobei mir die „Kalle Blomquist“- Hörspiele nach den gleichnamigen Astrid-Lindgren-Büchern in besonders lebhafter Erinnerung sind und während ich dies schreibe, erwachen der Meisterdetektiv Kalle, seine Freundin Eva-Lotta oder Onkel Einar, der freundlichen Polizist, in meinem Kopf zu neuem Leben.

Unverzichtbar war auch der Schulfunk. Er wurde werktäglich am Vormittag ausgestrahlt und Nachmittags wiederholt und wurde immer mit der Arie des Papageno aus der Zauberflöte als Erkennungsmelodie eingeleitet. Wenn ich wegen einer Krankheit das Bett hüten musste, war der Mumps, die Masern oder die profane Grippe sofort leichter zu ertragen, sobald die Zauberflöte angespielt wurde. Dann lauschte ich gebannt, was es „Neues aus Waldhagen“ gab, oder den kleinen Hörspielen über berühmte Entdecker und Forscher, oder über wichtige Ereignisse aus der Geschichte. Ich hörte fasziniert und mit Grausen die Reiseberichte Heinz Helfgens, der mit dem Fahrrad die Welt umradelte und in Tibet oder der Mongolei immer Tee mit ranziger Butter oder sonstige grauenhaft vergorene Yakmilch trinken musste. Ich erinnere mich noch genau, dass mir bei der Vorstellung, solche Köstlichkeiten zu mir nehmen zu müssen, regelrecht schlecht wurde, aber da täuscht mich wohl meine Erinnerung. Schlecht wurde mir wohl eher durch die verabreichte Medizin, deren ekelhafter Geschmack sich wohl kaum von den von Helfgen so plastisch beschriebenen Getränken unterschieden haben dürfte..

Dem Schulfunk folgte dann der Landfunk, danach die Wasserstandsmeldungen für Rhein, Mosel, Main, Neckar, Donau, Weser, Ems und Elbe, d.h. für jedes irgendwie schiffbare Gewässer in Deutschland und, man ahnt es schon, - das zieht sich. Genauso, wie der anschließende Suchdienst des Roten Kreuzes, der auch Jahre nach Kriegsende noch immer endlose Kolonnen von Namen verlas, von Menschen, die nach ihren verlorenen oder vermissten Angehörigen suchten. Anschließend die Presseschau, gefolgt von den Nachrichten und dann war Mittag und das hieß: Sendepause! Sendepause, weil ja, ist doch klar, die Leute vom Rundfunk auch mal zum Mittagessen wollten. Sendepause bedeutet eine Stunde Funkstille, einzig unterbrochen durch die Monotonie der minütlichen Senderkennung Da-da-di-da-da-da", was unsere Mutter mal mit „ Ist- der- Rund-funk-be-zahlt?“ übersetzte. Diese Deutung stammte im Original wohl von dem damals sehr populären Gesangstrio "Die 3 Peheiros", dessen Parodien bekannter Schlager oder Nonsensliedchen ("Wasser ist zum Waschen da, fallerie und fallera...") in keiner Samstagabendunterhaltung fehlen durften.

Unsere Welle war die Mittelwelle, der NWDR auf 971 KiloHertz, der dann ab 1956 gesplittet wurde in WDR und NDR. Gleichzeitig wurde nun auf Ultrakurzwelle, UKW, gesendet, was uns mit unserem uralten Mittelwelleempfänger abhängte. Wir waren arm und konnten uns einen modernen UKW-Empfänger nicht leisten. Krimi-Hörspiele von Francis Durbrigdge, Plattenaufleger wie den Amerikaner Mal Sandock oder den Engländer Chris Howland, oder lokale Nachrichten „Zwischen Rhein und Weser“ kannte ich nur vom Hörensagen. Bei uns zu Hause öffnete einmal in der Woche immer noch „Herr Sanders seinen Plattenschrank“, klassische Musik zum Gähnen, und dann kurbelte ich nachts durch den Äther und plötzlich erwischte ich da ein „Radio Caroline“, einen Piratensender, der von einem Schiff in der Nordsee, vor der holländischen Küste, aber in internationalem Gewässer, die englische und amerikanische Rock- und Popmusik sendete, die in den deutschen Sendern einfach nicht vorkam. Deutsche Radiosender sendeten in deutscher Sprache und hörte sich das englische Original auch tausendmal besser an, es wurde eingedeutscht auf Teufel komm raus und klang dann auch entsprechend - grauenhaft. Vor Jahren hatte ich schon mal einen Aspekt dieser Zeit beschrieben. Radio Caroline und später dann das englischsprachige Programm von Radio Luxemburg, „Your station o-hoff the stars!“, veränderten mein Weltbild und mehr und mehr verweigerte ich mich diesem Peter Alexander- Gesummse der offiziellen deutschen Radiostationen.

Die haben es natürlich nach einiger Zeit auch gemerkt, dass ihnen die Hörer abhanden kamen und mutierten über die Jahre nach und nach zum Dudelfunk, kürzen nun Wortbeiträge, die Hörer für Idioten haltend, auf eine Maximallänge von 90 Sekunden, unterlegen Nachrichten mit rhythmischen Geklapper, um Grenzdebile bei der Stange zu halten und plärren anschließend, dass sie nun aber sofort wieder die ultimativen Mega-Super- Hyper-Hyper-Hits abnudeln würden. Meinetwegen – wer’s denn braucht!

Vielleicht liegt’s am Alter, aber ich glaube, es liegt auch zu einem erheblichen Teil an der Prägung aus er Kindheit. Ich liebe das altmodische Radio, also das streng nach Kästchenschema gegliederte Programm, mit möglichst hohem Anteil von Wortbeiträgen. Mit Dudelfunk a la Bayern 3 oder Klassik-Radio konnte ich noch nie was anfangen. Bei längeren Autofahrten nerven die mich regelrecht. In Deutschland hörte ich gerne den Deutschlandfunk (DLF), auf Langewelle LW in ziemlich dürftiger Tonqualität, aber mit großer Reichweite. Die Kinder fanden das nicht so toll, „Langeweile 207“ stöhnten sie dann, bezugnehmend auf die Senderkennung LW 207 im Display des Autoradios.

Noch ein paar Worte zu einem Aspekt, der heute für Auswanderer wie uns eine wichtige Rolle spielt. Sie sind ja noch nicht so lange her, die Zeiten, da man sich mit einem Kurzwellenempfänger ausrüsten musste, wollte man sich z.B. im Urlaub irgendwo auf der Welt über den aktuellen Nachrichtenstand in der Heimat informieren. Selbst in Europa, in Übersee sowieso, musste man bis in die frühen Neunziger auf den Sonnenuntergang warten, bevor dann mit zunehmender Dunkelheit die Deutsche Welle mit an- und abschwellenden Fading hörbar wurde. Wie wohlig-heimelig wurde es einem dann ums Herz, wenn nach dem ganzen unverständlichen Gebrabbel des ausländischen Umfeldes endlich das vertraute Idiom zu vernehmen war und selbst der alltäglichen Staumeldung vom Kamener Kreuz, vom Kölner Ring oder vom Irschenberg wurde andächtig gelauscht.

Das ist heute vorbei und das deutschsprachige Radioprogramm der Deutschen Welle wird sicher nur noch von ein paar Einsiedlern in völlig abgelegenen Regionen ohne Internetzugang genutzt, im Urwald von Papua-Neuguinea etwa, oder mitten in der Sahara oder der Antarktis. Ansonsten kann man inzwischen alle Radiosender über das Internet weltweit ganztägig in bester Qualität empfangen und dieser Umstand trägt entscheidend dazu bei, dass das früher so gewinnbringend von Freddy Quinn beschnulzte Gefühl „Heimweh“ bei Menschen fern der ursprünglichen Heimat kaum noch eine oder gar keine Rolle mehr spielt. Vielleicht verallgemeinere ich da jetzt unzulässigerweise, für uns aber, und andere Exilanten hier, stimmt das sicher.

Übrigens, so was wie den Deutschlandfunk gibt es hier nicht. Hier plärrt ein East-Coast-Radio seinen Müll in den Äther. Ist es da ein Wunder, dass wir auf Radios für unsere Autos verzichtet haben? Ehrlich, da fehlt uns gar nichts, aber den Deutschlandfunk, morgens beim Frühstück, den möchte ich nicht missen.

PS: Warum ist dieser Beitrag so endlos lang? Na, weil ich Euch wochenlang verschont hatte und da darf's dann wohl ein wenig mehr sein. Man muss es ja nicht lesen - Pfff!

Tief im Süden

afrikanische Impressionen

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Kontakt:

hukbeilhartz@mweb.co.za

Aktuelle Beiträge

Offtopic
twoday schließt. Wie geht es denn hier weiter? Wäre...
Gregor Keuschnig - 4. Apr, 10:40
Der große Bruder, nicht...
Der große Bruder, nicht du, sondern der im Keller,...
dauersauer - 25. Aug, 13:16
Der Videobeweis
Gegen den Videobeweis ist ja prinzipiell nichts einzuwenden....
blackconti - 23. Aug, 21:08
so eine straßenschlacht...
so eine straßenschlacht ist besser als jedes fitnessprogramm.
bonanzaMARGOT - 1. Aug, 06:17
Ja, auf unsere Demonstranten...
Ja, auf unsere Demonstranten ist Verlass. Da staune...
dauersauer - 15. Jul, 20:47

Zufallsbild

eine seefahrt...

aktuelles Wetter

Suche

 

Status

Online seit 6738 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 4. Apr, 10:40

Credits

vi knallgrau GmbH

powered by Antville powered by Helma


xml version of this page

twoday.net AGB


bloggen
dies und jenes
Erinnerungen
erlebtes
Fussball
hier
lustig
Meinung
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren