Mord und Kahlschlag

Gerade komme ich zurück von einer bizarren Demonstration unten am Strand. Ungefähr 200 Menschen sind einem Aufruf in der hiesigen Presse gefolgt und haben sich um 9 Uhr an den Orange Rocks versammelt, um der vergangene Woche ermordeten Mrs. June Wallis zu gedenken und gegen Gewalt und Kriminalität zu demonstrieren. Der Schock über das schreckliche Verbrechen war noch spürbar und ich sah einige Teilnehmer mit Tränen in den Augen. Die Versammlung bestand ausschließlich aus Weißen und Indern, wenn man von einigen schwarzen Polizeibeamten absieht. Kein Wunder, denn die Bevölkerung der Küstenorte hier ist zu 95% weiß.

Dennoch war es sehr bedauerlich, dass sich kein Vertreter der Bezirksverwaltung ( 100% ANC und somit schwarz) blicken ließ. Bedauerlich und auch unverständlich, denn dadurch deutet der ANC an, dass auch er, wie die Weißen hier, davon ausgeht, dass der Täter ein Schwarzer war, was zwar ziemlich wahrscheinlich, aber noch nicht ausgemacht ist, da die Ermittlungen bisher jedenfalls erfolglos verliefen. Die Democratic Alliance (DA), die Partei der Weißen, ist sich da aber ganz sicher, war mit dem gesamten Ortsverein und dem Bezirksabgeordneten vertreten und forderte, was man halt in solchen Fällen fordert: Mehr Sicherheit für die Bürger, mehr Polizeipräsenz auf den Wanderwegen und - toll – das Abholzen der Ufervegetation im Bereich der Trails, weil sich darin ( schwarze) Obdachlose wohnlich einrichteten.

Die ersten beiden Forderungen sind wohlfeil, Politikerforderungen, wie man sie überall auf der Welt im Dutzend billiger bekommt. Die konkrete Forderung aber, den Kahlschlag der Ufervegetation, ist nachgerade absurd. Dieser einzigartige Bewuchs ist, obwohl unter strengem Naturschutz, durch die Küstenbebauung sowieso schon hochgradig gefährdet. „Mit Meerblick“ steigert den Wert einer Immobilie um 30-40% , weshalb fast täglich irgendwo das, den „Meerwert“ versperrende Buschwerk illegal ausradiert wird.

Das ist natürlich nicht nur für die Flora und Fauna in diesem Habitat äußerst misslich, aber auch der geldgeile Mensch bekommt dann eines Tages sein Fett weg. Ich erinnere mich nur zu gut an die große Springflut 2007, als die Hausbesitzer, die den schützenden Uferbewuchs zwecks „Meerblick“ abgeräumt hatten, diesen dann plötzlich zitternd in 10 m Entfernung „genießen“ durften, bibbernd, ob der nächste Brecher dann die ganze Villa schlucken würde. Halbe Gärten waren schon verschwunden und die Narben kann man heute noch sehen. Nun, 2007 ist lange her und wie ich damals schon schrieb:Nach uns die Springflut!

So, jetzt muss ich mich aber langsam auf Argentinien einstellen. Deutschlandfahne und Bayer-Leverkusen-Trikot liegen bereit - um sie nach der zu erwartenden Niederlage sofort angewidert zu verbren...schenken. Oder auch nicht, schaun wir mal. Wenn die Holländer die Brasilianer raushauen können – warum sollte Deutschland nicht auch die Argentinier..? Ach, ich bin ja schon wieder so aufgeregt!
lou-salome - 4. Jul, 06:54

Ja, ich habe mich hier noch nie zu Wort bzw. Stift gemeldet. Da ich regelmäßig 'Begleitschreiben' aufschlage, liegt es nahe, hier manchmal aufzutauchen und Ihre Kommentare zu lesen. Dieser Artikel von Ihnen geht mir ein wenig unter die Haut, erinnert er mich nämlich an den bei uns erst so kurz zurückliegenden Mordfall Maria Bögerl aus Heidenheim. Alles was näher an die eigene Person heranrückt wird intensiver gefühlt. DIe Distanz ist dann fast aufgehoben. Ein schreckliches Lebensende, welches Sie oben beschreiben.

Waren Sie im Stadion während des gestrigen Fußballspiels? Ich habe ansonsten, ausser in den Zeiten, in den meine Söhne im Verein Fußballl gespielt hatten und ich gezwungenermaßen öfters am Feldrand stehen musste, um die Kicker (-chen) optisch und seelisch zu unterstützen, akustisch hatten das immer andere viel besser gekonnt als ich, nichts mit Fußball am Hut. Aber Weltmeisterschaften sind, egal welche Sportart gerade 'dran' ist, ein anderes Kaliber, da schaue ich gerne rein. Und das gestrige Spiel war, auch von meiner Laienseite aus betrachtet, sauspannend.

blackconti - 4. Jul, 13:07

Dass ich Sie, oder besser, Ihre Kommentare im „Begleitschreiben“-Blog kenne, wird Sie nicht sonderlich verwundern, gehört doch auch für mich Gregor Keuschnigs Blog zum Interessantesten in der Blogsphäre und der tägliche Klick zur Routine wie Waschen und Zähneputzen.

Überraschen wird Sie aber, dass auch bei mir der Entführungs- und Mordfall Bögerl eine besondere Betroffenheit auslöste, weil für mich zur kleinen, verschnarchten Kreisstadt Heidenheim eine besondere Beziehung besteht. Meine Eltern verbrachten dort ihren Lebensabend und fanden später auf dem Heidenheimer Friedhof ihre letzte Ruhestätte.

Zum Fußball: Nein, das Spiel habe ich genau wie Sie nur im TV verfolgt, allerdings zusammen mit vielen Deutschen in einer hiesigen Kneipe. Das Spiel wurde in Kapstadt ausgetragen und von uns aus, nahe Durban, liegt Kapstadt 1 800 km entfernt. Dass das Spiel der Deutschen auch hier bei den interessierten Deutschen pure Begeisterung, bei den Afrikanern, Engländern usw. staunende Bewunderung auslöste, kann ich hier ohne Übertreibung versichern.
lou-salome - 4. Jul, 23:26

Manchmal ist die Welt wirklich ganz klein.
In Heidenheim hatten meine Schwiegereltern 1939 geheiratet. Und nachdem der Schwiegervater aus dem Krieg zurück kam, lebten sie in der Nähe HDH's seit den 50iger Jahren. Das ist sicher auch der Grund, weshalb mich der Fall Bögerl mehr als andere Verbrechen beschäftigt hat. Und auch u.a. deshalb kann ich Ihr beschriebenes und empfundenes Entsetzen ziemlich nachempfinden. ( Geben Sie Nachricht, sollte der Täter gefasst werden?)

Heidenheim hat sich in den letzten zwanzig Jahren ziemlich entwickelt. Ich weiß ja nicht, ob es Sie interessiert oder ob Sie es nicht selbst schon längst aus der Presse/von Freunden wissen. Das größte Projekt, das beeindruckt hatte, war das Ausradieren des 'Hennennestes', danach die Aushöhlung des Schloßberges ( der Vergleich mit einem Krater ist nicht von weit hergeholt) und darauf der Bau eines Hotel-/Kongresskomplexes, was ich in diesen Ausmaßen noch nie erlebt hatte.
Ansonsten, auch wenn ich sehr viele positive Erinnerungen aus der Heidenheimer Ecke habe, Heidenheim war noch nie die Stadt der Städte, für die mein Herz aufgeht. Verschnarcht, schmunzel, ist sie wohl nicht mehr, aber zu weit weg. Zu weit weg von Ulm, zu weit weg von Stuttgart, zu weit weg von ... naja.

Und zum Fußball. Ich überrasche hundertprozentig meine Freunde und Bekannte, dass ich plötzlich mit solch einem Eifer einem Fußballspiel "entgegen fiebere". Aber wirklich, auf das Endspiel freue ich mich, sollte Deutschland es so weit schaffen. Und auch wenn ich mich freue, dass Deutschland so weit gekommen ist ( sie haben wirklich gut gespielt), ich hätte einer Aussenseiter-Mannschaft wie Ghana unbedingt ein Weiterkommen gegönnt.

Ich wünsche Ihnen im tiefen Süden Afrikas noch spannende Fußballstunden.

Und Gregor Keuschnig, bitte nicht weiterlesen, einfach hier mal Schluß machen! Ich habe schon so oft gelobt, ich möchte nicht, dass es sich abnutzt.

Es stimmt, Blackconti, Begleitschreiben sehe ich auch als beste Blogseite an und freue mich jedesmal über die qualitativ hochwertigen Buch-Rezensionen. Das Finden dieser Seite war ein Sechser im Lotto. Ich hatte nach Begleitschreiben zu Bewerbungen gesucht und habe so diese Seite entdeckt.
Was für eine (fast) tägliche angenehme Informationsquelle, die bekommt man in der Stadt, auf dem Dorf oder sonst wo nicht. Dort werden Krankheiten beklagt, es wird über den Partner und die Nachbarn schwadroniert, der Liebhaber und und und. Aber Bücher, Geschichte, Politik? Fremdwörter. Die Schulzeit ist vorbei. Und die, die Interesse haben sind beruflich so sehr eingespannt, das sich dieser kulturelle Bereich völlig in den Hintergrund verabschieden muss.
So hat sich der Routineklick ( einschließlich lesen! falls G.K. doch bis hierher gelesen hat) bei mir auch etabliert :).

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